Wirklich schlimmer als eine gewöhnliche Grippe? 2.4.20

Grüezi Herr Seidenberg
Herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort. Ich habe ebenfalls Zweifel an der Webseite Swiss-Propaganda-Research, sie haben kein Impressum und halten sich namenlos. Das ist zum einen widerrechtlich und es stellt sich die Frage, warum sie nicht mit Namen zu ihrer Meinung stehen können.
Abgesehen davon finde ich aber gewisse Fragestellungen und Behauptungen schon interessant. Viele Leute fragen, wie viele Personen denn so bei einer „gewöhnlichen“ Grippe sterben. Die Zahl wird so viel ich weiss aufgrund der Übersterblichkeit errechnet oder ermittelt. Ist nun die Übersterblichkeit dieses Jahr wirklich so viel höher? Und wer sind die betroffenen Todesopfer, wie viele Alte, wie viele Junge, wie viele mit Krankheiten? Weicht dieses Bild von den gewöhnlichen Grippen ab? Wie viel ist die Todesrate dieses Jahr über der Norm? Ich würde es befürworten, wenn mehr Zahlen darüber veröffentlicht würden.
Ich habe schon den Verdacht, dass die Coronakrise nicht soooo schlimm ist, wie in den Medien dargestellt. (Ich rede jetzt mal nur von der Schweiz.) Ich frage mich auch, ob die Massnahmen nicht übertrieben sind. Allerdings bin ich keine Ärztin, sondern Botanikerin und kann nur Vermutungen anstellen, ich kenne die Faktenlage zu wenig.
Danke, ich bleibe gesund und Sie bitte auch! Schön von Ihnen zu hören und alles Gute!
Liebe Grüsse
Monika Huber

Liebe Frau Huber

Danke für Ihre Frage: Heute am 2.4.20 ist zur Frage der Übersterblichkeit in der NZZ S. 13 ein guter Artikel mit einer aktuellen Graphik erschienen. Die Kurve der Übersterblichkeit zeigt signifikant aus dem Normalen heraus. Der weitere Verlauf muss abgewartet werden. Aus der Graphik der NZZ ist nicht genau ersichtlich bis wann Daten erfasst sind; die Todesfälle der letzten Tage sind sicher noch nicht erfasst. Die Daten werden in verschiedenen Ländern unterschiedlich erfasst; das muss bei Vergleichen berücksichtigt werden.

In der Schweiz werden alle Todesfälle und ihre Ursachen im Sterberegister erfasst. Der Arzt, welcher einen Totenschein ausstellt, muss eine entsprechende Meldung machen. Covid-19-bedingte Todesfälle müssen aufgrund des Epidemie-Gesetzes zudem innert 24 Stunden dem Kantonsarzt und dem BAG gemeldet werden. Eine abschliessende Beurteilung der Übersterblichkeit ist erst möglich, wenn alle Meldungen im Sterberegister mit den seuchengesetzlichen Meldungen verglichen werden können. Das dürfte vermutlich erst nächstes Jahr aus wissenschaftlichem Interesse erfolgen.

Die Sterblichkeit bei einer gewöhnlichen Grippe-Pandemie beträgt 0,02 bis 0,1 Prozent. Die Covid-19-bedingte Sterblichkeit scheint eher mehr als 1 Prozent zu betragen und ist also vorsichtig gerechnet 10 bis 50 mal grösser als bei einer gewöhnlichen Influenza. Alle Jahre stecken sich rund 10 Prozent der Bevölkerung mit Influenza-Viren an. Die SARS-CoV-2-Pandemie scheint ohne Kontrollmassnahmen 25-40 Prozent einer Bevölkerung anzustecken.

Die Altersverteilung der Grippe-Sterblichkeit ist meist asymmetrisch U-Förmig: Säuglinge und Kleinkinder haben eine etwas erhöhte Sterblichkeit, im Jugend- und Erwachsenenalter ist sie gering und ab 60-70 Jahren steigt die Sterblichkeit rasch zunehmend an. Covid-19 zeigt eine ähnliche Verteilung, allerdings sind Kleinkinder und möglicherweise auch Säuglinge kaum betroffen. Anders zeigte sich die Altersverteilung bei der spanischen Grippe-Pandemie 1918/19, welche Menschen im mittleren Lebensalter (zum Beispiel Soldaten) besonders hart traf. Die plausibelste Erklärung: Mit zunehmendem Alter ist der Pool an immunkompetenten Zellen in seiner Breite / Diversität eingeschränkt. Je älter wir werden, desto weniger gross sind die Chancen, dass wir gegen einen uns unbekannten Erreger geeignete Antikörper produzieren können. Wer 1957 schon lebte, wird gegen ähnlich Grippeviren wie diejenigen bei der damaligen asiatischen Grippe (H2N2) gewappnet sein. Gegen SARS-CoV-2 besassen Menschen vor 2020 keine wirksamen Antikörper.

Bliibäzi xund!
André Seidenberg