Drogenszene: die Gasse

Die Drogenszene nannten die Szenegänger in den 80-er und 90-er Jahren «die Gasse»; in Deutschland ist wohl der Gebrauch des Wortes «Strasse» dafür gebräuchlich.

Seit dem Sommer 1968 sassen auf den Treppen bei den Bootsstegen des Stadtflusses, an der Riviera der Limmat, bei schönem Wetter vielleicht hundert bis zweihundert junge Leute. Sie spielten Musik, lachten, sonnten, küssten sich und kifften gelegentlich. Einige wenige dealten und spritzten sich irgendwo im Verborgenen Heroin. Nach den Globuskrawallen vertrieb die Polizei in unregelmässigen Abständen die bunte Szene an der Riviera mit Gewalt. Die abhängigen Heroinfixer mussten sich weiterhin täglich irgendwie ihren Stoff beschaffen. Drogen zu dealen war immer der einfachste Weg. Die ersten Fixer waren jugendliche Aussteiger aus der 68-er Bewegung. Sie hatten meist einen gutbürgerlichen Hintergrund. Wenig später folgten tiefere Gesellschaftsschichten, die Schwachen und die Schwächsten.

Die Polizei wurde nach den Globuskrawallen 1968 mit Tränengas, Gummigeschossen und Wasserwerfern aufgerüstet. Die Riviera wurde gewalttätig geräumt. Drogenkonsumenten wurden überall in der Stadt konsequent vertrieben. Aber die süchtigen Kleindealer blieben auch nach jeder Vertreibung süchtig, und die Drogenszene sammelte sich an anderen Orten. Das Drogenkarussell begann sich zu drehen, ein böser Rundlauf durch Zürich. Plätze und Parks wurden von bewaffneten Polizeitruppen geräumt, gesäubert und einige Tage oder Wochen gesichert. Neue und immer jüngere Kunden wurden rekrutiert und der Markt wuchs mit der Logik des Schneeballeffekts.

Seit Ende der Sechziger Jahren wurden Drogenkonsumenten überall in der Stadt konsequent vertrieben. Dutzende von Restaurants, Bars und Clubs wurden wegen geringfügigen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz geschlossen. Die Drogenszene und der Drogendeal wanderte ab 1968 durch die ganze Zürcher Innenstadt: Schwarzer RingOdeonMarökkli, Blow-up, Revolution, Riviera, Bellevue, Seepromenade, Lindenhof-Bunker, Hirschenplatz, Seefeld, Platzspitz, →Letten. Später metastasierte die Szene an die Langstrasse, machte Station in den Bahnhöfen von AltstettenAffolternOerlikonDietikon, Uster, Aarau, Olten und vermischte sich mit den Szenen von St. Gallen, Chur, Bern, Lausanne, Genf, Berlin. Jedes Mal, wenn sie vertrieben wurden und sich an neuen Orten festzusetzen versuchten, wurden neue Konsumenten von den süchtigen Kleindealern angefixt.

Der Drogenmarkt, die Drogenszene im «Needle-Park» Platzspitz wurde letztlich vor allem durch arbeitende, selber abhängige Drogenkonsumenten und durch das Geld ihrer Angehörigen finanziert, eine riesige Geld-Akumulations-maschine für die Mafia.

Jedes Mal, wenn sie vertrieben wurden und sich an neuen Orten festzusetzen versuchten, wurden neue Konsumenten von den süchtigen Kleindealern angefixt, ein Schneeballsystem. Die Repression gegen den Konsum und Handel mit Drogen wurde als Teil der polizeilichen Ordnungsaufgabe angesehen. Aber Ruhe und Ordnung sind Ziele, welche mit dem Ziel der Minimierung von Sucht und Drogen konkurrieren.