Hemmungen beim Schreiben eines Buches Drogen und Sucht als Metaphern

Drogen und Sucht sind real, aber sie sind auch wirkmächtige Metaphern. Solche Bilder sind Denkfahrzeuge, mit welchen wir uns die Erde untertan machen. Bilder sind Instrumente jeder menschlichen Herrschaft. Bilder begründen und zementieren Regentschaft, schreckliche und irgendwelche Regentschaft. Bilder gehörten verboten. „Du sollst Dir kein Bildnis machen“, lautet die uralte Aufforderung zur Freiheit. Und doch konnte noch keine Herrschaftskritik auf Bilder verzichten. Bilder fesseln, betören und regieren. Bilder erschlagen die Feinde. Und Feind ist noch jeder, der sich einer Herrschaft widersetzt. Bilder werden mit neuen Bildern erschlagen. Denkfahrzeuge gleichen einem Tanker, der eher durch einen anderen Tanker zerstört wird, als dass er sich von alleine kaputt fährt. Der Streit der Bilder ist eine ödipale Geschichte, und doch ist sie wesentlicher Teil unserer Geschichte.

Bevor ich aufrufe, die Droge als Metapher, als Paradigma, als Bild, ernst zu nehmen, zu dekonstruieren, zu analysieren und die Herrschaft der Drogen zu zerschlagen, muss ich eine Hemmung überwinden. Wie leicht werden Patienten Etiketten angehängt, werden ihnen vorgefertigte Diagnosen wie Abziehbildchen angeklebt, wie Masken über ihr Gesicht gestülpt. Die Rettung des Seelenheils, die Weltsicht des Therapeuten, erzeugt Patientenbilder.

In bester Absicht erzeugen die therapeutischen Bilder von Menschen neues Leid. Wie leicht geschieht das in den einzelnen Therapien, und wie leichtfertig zeichnen psychologische Theorien Bilder von Menschen, die mehr schaden als helfen. Krankengeschichten von Drogenkranken sind voll solchen Leids, gefüllt mit Bildern von Therapien, Theorien, Sprachen der Bemühungen um ein nie erreichtes Ziel. In den Spuren von therapeutischen Verheerungen, in Krankengeschichten erscheinen Drogen und Sucht als Mythen aus gewalttätigen Bildern.

Narrative, Mythen und Ideologien sind geschichtswirksam. Zwei Narrative scheinen mir das Drama der Drogenpolitik und des Drogenkrieges zu gestalten. Auf der einen Seite steht der Kampf gegen die Sucht, den Kontrollverlust, den Sumpf der Begierden, gegen die Sünde und auf der anderen Seite stehen der Kampf für die Freiheit, die Rebellion gegen Zwänge und Unterdrückung.

Bin ich scheinheilig? Leugne ich meine eigenen ärztlichen Machtansprüche? Habe ich nicht ein Buch zum Thema Drogen und Sucht geschrieben? Reicht es, zu betonen, dass ich das Aufbegehren meiner Drogenpatienten gegen ihren Arzt gut verstehe?

Sie kamen zu mir als ihrem Arzt. Sind sie allein deswegen Patienten? Von Klienten zu sprechen, wäre scheinheilig, von Freunden zu sprechen, wäre in den meisten Fällen anmassend.

Das Aufbegehren gegen die mächtig verordneten Bilder und das verzweifelte Anpassen an die illusionären Bilder dieser Gesellschaft haben Chris Bänziger und Gertrud Vogler in ihrem Buch ‚Nur sauber gekämmt sind wir frei‘ geschildert und bebildert.

Ich wollte von meinen Hemmungen sprechen, über Sucht und meine Patienten zu schreiben. Ich hatte Angst, dass meine Patienten für neue Drogenbilder bestraft würden. Ich hatte Angst, die mächtigen Metaphern von Sucht nur schon zu benennen. Den Namen nur schon in den Mund zu nehmen, kann bekanntlich tödlich sein. Das Suchtparadima ist so mit dem Heil der Gesellschaft verknüpft, dass Todesopfer notwendig geworden sind. Es ist Krieg! Drogenkrieg! Ich hatte aber auch Hemmungen, Gegenbilder, Metaphern und Mythen der Freiheit zu zeichnen, weil solche Bilder nur zu oft missraten. Welcher Heilsentwurf hat nicht Unheil gebracht?

Sollen Beispiele genannt werden? Sophokles und Sigmund Freud haben mit ihrem Ödipus die Frauen ziemlich erschlagen. Hat nicht die kritische Theorie der Frankfurter Schule Auschwitz zum moralischen Angelpunkt unserer Gesellschaft erkoren. Norbert Elias hat deswegen gesagt, sie tun ihm leid. Ist nicht unser Herr, Jesus Christus gestorben, um unser aller Leid zu lindern und die Menschen zu erlösen? Ist nicht der Mord an einem Juden der moralische Angelpunkt, die Achse, das zentrale Bild des Christentums, welches seit bald zwei Jahrtausenden Juden und zu Tode schlägt?

Die Suche des Heils im grössten Elend und Schwäche hat uralte Tradition. Will ich die Drogenkonsumenten zu den Juden unserer Gesellschaft machen? Nein, hier sollen nicht Drogenkonsumenten mit Bildern erschlagen und geopfert werden. Hier sollen weder neue noch alte Drogenparadigmen mit einem verzweifelten Heilsanspruch verknüpft werden.

Ich möchte mich beschränken auf die Analyse. Analyse heisst hier, mit möglichst vielen Bildern ein Bild hinterfragen, abklopfen, dass aus diesem Entgegenstellen sich der Sinn erschliessen lasse. Das Bewusstsein als Heilsbringer? „Wo Es war soll Ich werden“, sagte Sigmund Freud. Und doch kann keine Analyse, keine Kritik oder Dekonstruktion auf Bilder verzichten. Gibt es aus dieser ödipalen Tragödie denn kein Entrinnen?

Kann man heilen? Eine ganze Industrie behauptet das. Ich bin mir – in aller Bescheidenheit – nicht sicher. Das Heil der menschlichen Gesellschaft, gibt es das überhaupt? Die Ethnologen suggerieren schon, dass es glücklichere und weniger glückliche Gesellschaften gäbe. Aber den Heilsplan, den Entwurf des gesellschaftlichen Glücks, gibt es den?