Warum sind wir nicht besser? 21.3.20

Liebe Freunde,
Bei der Lektüre die NZZ-Artikels über Südkorea und deren Bewältigung der Coronaseuche (siehe unten) werde ich stinkesauer!
Wir haben eine der teuersten und grössten Armeen in Europa, welche die Aufgabe hat, uns Bürger zu schützen. Wir haben eines der best ausgebauten Gesundheitssystemen der Welt, das uns heilen soll.
Aber beim Ausbruch der Seuche in der Schweiz
– fehlten schon von Anfang an genügend Testmöglichkeiten. In Südkorea wurden bereits bei den ersten Coronafällen mobile Test-Labors auf die Strassen geschickt. Die Test-Resultate liegen bereits nach einem halben Tag. Vor Bei uns: Viel zu wenig Tests. Und es dauert Tage, bis ein Resultat da ist.
– Weil zu wenig Tests da waren, konnten wir vor drei Wochen unkontrolliert von der Schweizer Grenzwacht in die Schweiz zurückreisen. Obwohl wir aus Norditalien kamen – und ich sogar auseinem Spital in Omegna. Uns Bürgern wurde gesagt, testen sei unnötig. Wir sollten warten, bis wir allenfalls Symptome zeigen.
– Italien hatte schon vor der Seuche pro Kopf mehr Intensivbetten als die Schweiz.
– Unsere Armee will Milliarden ausgeben für einen neuen Kampfflieger um uns vor Angriffen von aussen zu schützen. Aber wir haben zu wenig Atemmasken. Und anfänglich auch zu wenig Hand-Desinfektionsmittel.
Dank weiser Voraussicht hat Südkorea die Krise durchgestanden ohne Hausarrest der Bevölkerung. Und wir stehen erst am Anfang…
Tanti saluti!
uke

ASe: Lieber Urs,

Wie Du weisst, arbeite ich (sonst pensionierter Rentner) Covid-19-bedingt zur Zeit in der medizinischen Virologie der Uni Irchel-Zürich an der Hotline, seit gestern im Homeoffice. Die zu geringen Testkapazitäten sind tatsächlich mehr als nur ein Ärgernis. Seit zwei Tagen läuft in unserem Institut eine zweite neue Testmaschine der Roche, ein Zimmer füllendes Ungetüm. Täglich können 400 Tests mehr gemacht werden. Die Testkapazitäten wurden in der Schweiz in den vergangenen wenigen Wochen fast verdoppelt.

Engpässe sind nicht nur die Maschinen. Wir haben zu wenig geeignete beflockte Tupfer für die Nasen-Rachen-Abstriche. Geben Behelfsmassnahmen genügend sichere Testresultate? Darf man sich auf Sputumproben verlassen, wenn die Patienten direkt in das Proben-Röhrchen spucken? Haben wir genug Reagenzien? Haben wir genug Schutzmasken, überall wo Patienten getestet werden? Die Tests müssen auch administrativ bewältigt werden. Die Tests kommen aus völlig ungewohnter Quelle, zum Beispiel von Hausärzten. Die Daten können darum nicht mit einem Klick erfasst oder übermittelt werden. Die Angaben auf den Bestellformularen von mehreren Hundert Proben müssen quasi sofort eingetippt werden. Ist die dringliche Probe von gestern nacht bei uns nicht eingetroffen, oder ist sie am Mittag schlicht noch nicht erfasst worden? Tatsächlich sind Freitagmittag einige Proben vom Montag noch nicht fertig ausgewertet.

Wir arbeiten mit dem System das wir haben, so gut es geht. Was soll mit den vielleicht, oder den wahrscheinlich infizierten Mitarbeitern im Spital oder in der Arztpraxis geschehen, deren Tests seit 3 Tagen ausstehen? Prioritäten ändern sich täglich, aber das System kann darauf nicht angemessen schnell reagieren. Welche Tests sollen prioritär durchgeführt werden, wenn es nicht möglich ist alle Tests sofort durchzuführen? Sollen Tests für Organtransplantationen immer noch prioritär durchgeführt werden? Wie können objektive Dringlichkeiten in den Abläufe des Systems wirksam werden? Wer entscheidet praktisch über die Dringlichkeit? Kann das auch umgesetzt werden?

Seit vielen Jahren erwarteten die Infektiologen und Epidemiologen jederzeit eine Pandemie vom Ausmass von SARS-CoV2. Nicht einmal, dass jetzt Coronaviren und nicht etwa eine Influenza-Virus eine solche Pandemie auslösen konnte, kommt überraschend. Südkorea und Taiwan haben ihre Pandemiepläne seit der SARS-Epidemie auf allen Ebenen und relevanten Strukturen verbessert. Südkorea und Taiwan waren jetzt in der Lage, genügend rasch gegen die Ausbreitung von SARS-CoV2 zu reagieren. Sie konnten die ersten Fälle und ersten Herde eindämmen. Darauf war die Schweiz nicht vorbereitet.

Wir konnten Covid-19 nicht genügend bekämpfen, so lange eine Strategie der Eindämmung von Herden noch erfolgversprechend war. Tests und Testkapazitäten sind vor allem zum Zeitpunkt einer noch möglichen Herdeindämmung entscheidend.

Wut, eitle Rechthabereien, Schuldzuweisungen und schnelle Forderungen sind nicht zielführend. Daniel Koch vom BAG und der Bundesrat machen ihren Job mit den gegebenen Mitteln gut. Die Wirksamkeit der schweizerischen Massnahmen werden voraussichtlich in zwei Wochen sichtbar. Ich bin zuversichtlich, dass wir weniger als 100’000 Infektionen in der Schweiz haben werden. Das ist zwar eine Katastrophe, aber das Schlimmste konnte dann verhindert werden. Auf die nächste Pandemie werden wir bestimmt besser vorbereitet sein.

Bliib xund!

André