Wildtiere sind Corona-Viren-Reservoirs 7.4.20

Lieber André Seidenberg
Ein Thema, das mich seit Ausbruch der Corona Pandemie immer wieder beschäftigt, betrifft die Übertragung von Viren von Tieren auf den Menschen. Leider enthalten die  Beiträge der Medien wenig wissenschaftlich untermauerte Informationen dazu (oder ich habe sie übersehen). Nun äussert der Arzt und Kabarettist Eckart von Hirschhausen im Interview im Tagesanzeiger vom 2.4.20, dass Wildtiermärkte weltweit sofort verboten werden müssten. Er argumentiert, der Grund, warum immer wieder Viren von Wildtieren auf Menschen übertragen werden, sei der brutale Rückgang der natürlichen Lebensräume der Wildtiere, die zudem noch gegessen und gehandelt werden.
Mich interessiert nun die Frage, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse diese Aussage stützen,  und inwiefern ein weltweites Verbot von Wildtiermärkten künftige Pandemien dieser Art effektiv verhindern könnten. Falls ein Verbot tatsächlich eine wirksame Strategie sein könnte, stellt sich die weiterführende Frage nach der Rolle der WHO. Müsste sich die WHO nicht viel aktiver dazu äussern, wie Erkenntnisse aus Corona, SARS, Ebola etc. in Strategien umzusetzen wären, die das Risiko für künftige Epidemien dieser Art mindern könnten?
Ich bin gespannt auf Ihre Antwort und bedanke mich sehr herzlich für Ihr Blog Angebot! Ich verfolge die Diskussionen und anderen Beiträge mit Interesse.
Mit freundlichen Grüssen

Liebe Tildy Schulte

Ihre Fragen sind wichtig, wenn es darum geht, gegen zukünftige Pandemien besser gewappnet zu sein. SARS-CoV, der Erreger der SARS-Epidemie 2003 in Asien, ist im Menschen der nächste Verwandte von SARS-CoV-2, dem Erreger der aktuellen Covid-19-Pandemie. SARS war deutlich häufiger tödlich als Covid-19.

Die Verwandschaft der sieben bekannten menschlichen und der tierischen Coronaviren kann durch vollständige Sequenzierung ihrer Gene analysiert werden. Der Stammbaum der menschlichen Corona-Viren ist gefüllt mit nahen Verwandten welche sich im Tierreich vermehrten. SARS-CoV hat sich nicht im Menschen zu SARS-CoV-2 weiter entwickelt. SARS-CoV scheint aus Zibet-Katzen auf den Menschen gelangt zu sein. Vor allem bei Fledertieren wurden Verwandte und Zwischenformen von SARS-CoV und SARS-CoV-2 gefunden. Der nächste Verwandte von SARS-CoV-2 wurde in Schuppentieren gefunden. Der Sprung von Tieren zum Menschen ist dem Erreger von Covid-19 anscheinend über zwei Stationen geglückt. In Fledertieren wurde der zweitnächste Verwandte von SARS-CoV-2 gefunden. In ameisenfressenden Schuppentieren (Pangolin) fand sich der nächste verwandte Virus von SARS-CoV-2.

Zibet-Katzen, Fledertiere und Schuppentiere wurden auf asiatischen und afrikanischen Märkten als lebende Güter massenhaft verkauft. Ein weltweites Verbot dieser Wildtiermärkte könnte das Risiko von Artensprüngen reduzieren. Der Rückgang von Lebensräumen für Wildtiere kann teilweise und zeitweise zu vermehrten Kontakten von Wildtieren zum Menschen führen. [Diese letztere Argumentation überzeugt mich aber nur beschränkt. Zynischerweise könnte man auch einwenden, dass geringere und artenärmere Wildtierbestände auch einen weniger grossen Pool an Wirten und damit statistisch geringere Chancen für einen Artensprung ermöglichende Mutationen beinhalten.] Wesentliche und historisch gesehen neue Treiber für die pandemische Ausbreitung von neu auf den Menschen übergegangene Erreger sind die weltweit grosse Mobilität.

Es ist zu hoffen, dass Covid-19 die internationalen und nationalen Pandemie-Strategien praktisch und wirklich stärken. Aids, SARS, MERS, Ebola, Covid-19 und die jährlich unterschiedlich gefährlichen Influenza-Erreger zeigen, wie bedroht die Menschheit durch Pandemien wirklich ist. Aus rund einem Duzend Familien von Viren könnten heute in Form einer neuen Mutation im Menschen einen neuen Wirt finden. Die nächste Pandemie könnte noch tödlicher werden. Das statistische Risiko ist heute in Bezug auf Covid-19 schwierig abzuschätzen und noch mehr in Bezug auf unbekannte zukünftige Pandemien: Alle 30 Jahre, alle 100 Jahre? Todesfallrate 1 Prozent oder 10 mal mehr? Lokale und weltweite Investitionen zur Pandemievorsorge dürften sich ökonomisch auszahlen. Ob die WHO einen Lead übernehmen kann, weiss ich nicht.

Alles Guäti, bliibäzi xund
André Seidenberg