Geschichten

Es ischt emol xi xi xi, es war einmal.
Es war einmal ein Mann
der hat’ nen hohlen Zahn.
Und in dem Hohlen Zahn war ein Trücklein
und in dem Trücklein war ein Brieflein
und in dem Brieflein war geschrieben:
Es war einmal ein Mann

Es ischt emol xi xi xi, es war einmal, erzählte der Grossvater seine Maase[1] und neben Jiddisch färbten noch viele Sprachen seine Geschichten. Nicht nur der Grossvater, auch alle anderen erzählten Geschichten, die Geschichten der Familie, die Geschichten der Juden und von anderen Völkern. Von den Juden, die ständig wandern mussten, weil die Erde sich doch drehte. Kadurha’arez dreht sich und dreht sich, und dreht sich, und der Mensch steht immer schiefer auf der Erdkugel, und wenn sie nicht ständig wanderten, würden sie allesamt herunterfallen, denn kopfüber kann niemand stehenbleiben. Keiner darf zurückbleiben, aber immer sind einzelne, manchmal aber auch mehrere, und sogar viele Juden in den Abgrund gefallen. Ganze Familien sind in den Tehom gefallen und sogar zehn Stämme sind dort in den Tiefen verschwunden. Du musst immer laufen und laufen. Und wenn Du links hinter dich schaust, fällt einer weg, und wenn Du rechts hinter dich schaust, fällt einer weg.

Und die Juden mussten sich praktische, aber strenge Gesetze machen, denn nur wenn sie sich zusammenscharten um den einen unendlichen Gott der Welt und nur immer weiter gingen und hastig assen, und lernten, und Kinder zeugten, und gebaren, und wanderten, konnten sie zur richtigen Zeit die richtigen Abschnitte in den fünf Büchern Moses lesen, jeden Wochenabschnitt zur richtigen Zeit, in der richtigen Position zur Unendlichkeit, und auch wenn die Erde sich unter ihnen drehte und drehte, waren sie der göttlichen Unendlichkeit En Soph immer nahe.

Aber die anderen Völker blickten auf diese Juden, die dauernd wanderten, zuoberst auf der Kugel der Welt. Sie schrien, weil die Juden dort oben wanderten und sie schrien, wenn einer fiel, und tobten, wenn ganze Gruppen von Juden vom Abgrund Tehom verschlungen wurden. Und sie sahen die Götter der Wahrheit mit den Göttern der Hoffnung streiten. Und die Götter der Menschen streiten, solange es Menschen gibt, denn die Menschen brauchen sowohl die Hoffnung wie die Wahrheit.

«Es ischt emal xi xi xi» begann auch der Kleine seine Geschichten, und erzählte den anderen Kindern Woche für Woche, was er bei den Grossen gehört hatte. Der Kleine wusste jedes Wort, er sang den Text der Bibel und übersetzte, was er verstanden hatte, und es waren die wunderbarsten Geschichten. Bereschit schrieb er mit einem Stöckchen. Sorgfältig und versonnen zeichnete er die Buchstaben in den Staub der Gasse. Dann begann er leise den Text zu singen, den er am Samstag erstmals gehört hatte, und als die Kinder sich um ihn versammelten, beschrieb er den Anfang, den Kopf der Unendlichkeit, der über der Finsternis und den tiefsten Abgründen schwebte, und wie das Licht entzündet wurde: «Jehi Or wehaja Or», es werde Licht und es ward Licht.

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[1] Siehe wenn nötig im Glossar